21.11.2024 09:04
Die Weihnachtsschafe
Franz Hidber hat tierisch süsse Mitarbeiter - Shropshire Schafe sorgen für Ordnung zwischen den Tannen
Zwischen den Christbaumkulturen rund um Steckborn tummeln sich die Schafe von Franz Hidber. Statt die künftigen Christbäume anzuknabbern, helfen sie lieber bei der Arbeit.
Franz Hidber drückt mit einem Kessel gefüllt mit leckeren Körnchen vorsichtig den Elektrozaun runter und lässt mir den Vortritt, ins Reich der Weihnachtsschafe zu steigen. Noch sind sie nicht zu sehen, die Shropshire Schafe. Ein Zungenbrecher par excellence. Als einzige von rund 800 Schafrassen fressen die Shropshire-Schafe die Triebe der Nadelbäume nicht an. Warum, weiss niemand so recht. Es funktioniert auch nicht immer. Die Zusammensetzung der Herde ist massgebend, wie auch der Gesundheitszustand der Tiere. Ein gänzliches Mysterium, welches Franz Hidber seit den 2000ern zu ergründen versucht. Der einstige Lehrer und Logopäde machte schon allerlei Erfahrungen mit den Wiederkäuern und schaffte es jedes Mal, die Gruppe so zusammenzustellen, dass sie sich nicht an den Zweigen gütlich taten.
Natürliche Rasenmäher
Bisher sind die so besonderen «Weihnachtsschafe» nicht zu sehen. Wir laufen um einen grossen künstlichen Teich, dessen Quellwasser der Grundbesitzer zur Bewässerung seiner Felder einsetzt. Und dann entdecken wir die Wollknäuel. Oder besser gesagt, sie uns, denn die kleine Herde sprintet auf Franz und mich zu als gebe es kein Morgen mehr. Zum einen, weil sie sich freuen, ihr «Herrchen» zu sehen, zum anderen - ehrlich gesagt hauptsächlich - jedoch, weil sie den weissen Kübel und dessen Inhalt sehr wohl kennen. «Chömmet mit», sagt Franz und läuft umzingelt von den Schafen wieder um den Teich herum zu den Hauptdarstellern dieses Berichts - den künftigen Weihnachtsbäumen. Obwohl die Schafe Zugang zu den Tannen haben, sind sie unversehrt. Das Gras daneben jedoch schön runtergefressen. So sind die Schafe quasi tierisch süsse Rasenmäher. Das eine schwänzelt etwas breitbeinig um Franz herum. Im Januar wird es wohl Nachwuchs geben. Dann werden sie im Stall in Steckborn sein, denn eine Geburt ist nicht ohne Risiken verbunden. Schon oft spielte Franz' Frau Beatrice Schaf-Hebamme und rettete dadurch so manchem Lämmchen das Leben.
Vom Lehrer zum Christbaumproduzenten
Aber von Anfang an. Franz Hidber besuchte das Semi in Kreuzlingen und half nebenher seinem Onkel in dessen Forstbaumschule. Von ihm erhielt er das Wissen, was ihn schliesslich die Welt der Christbäume öffnete. Und dieses Wissen ist ordentlich gross. «Man kann ein Bäumchen nicht heute setzen und es zehn Jahre später fällen», sagt Franz und lächelt. Jeder Setzling wird über die Jahre begleitet, gepflegt und in Form gebracht. Bei manchen braucht es mehr Hingabe, andere gedeihen ohne grossen Aufwand prächtig. Vor vierzig Jahren setzte er die ersten Bäumchen in die Erde ein. Heute kann er sie nicht mehr zählen. Die Schafe, oder seine fleissigen Mitarbeiter, wie er diese lachend nennt, schon. Aktuell sind es noch zwanzig, bis vor einiger Zeit über achtzig. Doch mit 72 Jahren möchte er die Herde langsam verkleinern.
Natur dankt den Christbäumen
«So viele Bäume fällen für wenige Tage oder Wochen? Wir holen uns lieber einen Plastikbaum, der paar Jahre hält», denkt so manche und mancher. Für Bäume aus dem Ausland mag der Gedanke stimmen. In der Schweiz leisten die heranwachsenden Nachwuchs-Christbäume aber so einiges. Eine Hektare Weihnachtsbaumkultur bindet während der Wachstumszeit von über zehn Jahren bis zu 145 Tonnen Co2 und produziert gleichzeitig bis zu 105 Tonnen Sauerstoff. Ohne die Tradition würden die Flächen anders genutzt werden. Viele Tierarten lieben dazu die Kulturen als Rückzugsort. Singvögel nisten in den Christbäumen und Feldhasen und Igel nutzen die Kulturen als willkommener Unterschlupf. «Mit dem Kauf eines Plastikbaums tut man der Natur keinen Gefallen. Das zur Plastikherstellung verwendete Erdöl ist bekanntlich sehr umweltschädlich», so Franz.
In der Schweiz gibt es über 500 Christbaumproduzenten, welche Arbeitsstellen schaffen. Viele davon gehören der IG Suisse Christbaum an. Ein Kreis von Personen, welche schlussendlich für weihnachtliche Erinnerungen mit der Familie in den Stuben sorgen. Auch Franz Hidber ist Teil der IG, besuchte schon diverse Kurse und erweiterte sein Wissen durch den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. Denn bis das Christchindli die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen kann, vergehen während mindestens zehn Jahren hunderte von Arbeitsstunde der fleissigen «Weihnachtselfen» in den Christbaumanlagen.
Von Desirée Müller