18.04.2024 00:00
Demenz aus der Sicht der Angehörigen
Die terzStiftung lud zu einer Informationsveranstaltung anlässlich ihrer kantonalen Sensibilisierungs-Kampagne im Thurgauerhof ein. Die Anwesenden folgten mit grossem Interesse den Ausführungen von Dr. med. Irene Bopp-Kistler. Diese hatten zum Ziel aufzuzeigen, was die Demenz-Diagnose persönlich und gesellschaftlich auslösen kann. Ergänzend zeigte die Stiftung Lebensfreude auf, was geschulte Clowns bei Demenzpatienten bewirken.
Weinfelden Musiktherapeut Otto Spirig singt, begleitet von seinem Akkordeon, bekannte Frühlingsliedern, und spontan stimmen die 250 Anwesenden mit ein. «Musik berührt die Herzen und öffnet die Türen zu Verlorengegangenem bei Menschen mit Demenz», gibt er zu verstehen. «Heute stehen die Angehörigen von Demenzerkrankten im Zentrum», begrüsst René Künzli von der terzStiftung die Anwesenden und weist sie darauf hin: «Sie laufen Gefahr, sich zu vergessen und zu überfordern, fühlen sich oft nicht verstanden und erleben eine lange Zeit des Abschieds.» Den Angehörigen gegenüber bekundet Künzli eine hohe Wertschätzung und hebt hervor: «Sie verdienen Anerkennung, eine Unterstützung und Hilfe rundherum.» Anschliessend führt Carsten Niebergall durch den Nachmittag, der mit dem Film über Brigitte und Nick Labhart, die Ehefrau und den Sohn des an Demenz erkrankten Steckborner Hoteliers, Michael Labhart, seinen Auftakt nimmt. Dabei leitet Pflegefachfrau Rebecca Bohli das Gespräch in diesem Video und weist einleitend darauf hin: «Die Zahl der Demenzerkrankten nimmt jährlich zu, und bis 2050 rechnen wir mit einer Verdoppelung.»
Eine halbe Million betreuende Angehörige
Im Video schildern die Ehefrau und der Sohn des an Demenz erkrankten Michael Labhart ihren heutigen Alltag. «Wichtig ist es, dass wir einen guten Umgang miteinander finden, um die Situation zu meistern», sagt die Ehefrau und deutlich kommt zum Ausdruck: «Es geht nicht darum, gegen die Krankheit, sondern mit der Krankheit zu leben.» Zudem hebt sie hervor, wie wichtig das Erledigen von kleinen alltäglichen Aufgaben für den an Demenz Erkrankten ist. Stellvertretend für die schweizweit rund 150’000 mit Demenz lebenden Menschen und die über eine halbe Million betreuenden Angehörigen darf das Ehepaar Labhart lobende Dankesworte und ein Geschenk entgegennehmen.
Erleichterung und Klarheit
«Demenz ist ein langsamer Abschied mit grossen Herausforderungen und Schmerz und Fragen über Fragen», stellt Dr. med. Irene Bopp-Kistler einleitend zu ihren Ausführungen über die Situation der Angehörigen fest. Als mögliche Zeichen in der Beziehung als Frühsymptome nennt sie neben einer abnehmenden Empathie und Antriebslosigkeit unter anderem einen sozialen Rückzug und die Ablehnung von Vorschlägen. «Die Partnerin eines an Demenz erkrankten nannte das Ganze einen Albtraum, der nicht mehr aufhöre, und fühlte sich als Witwe, obwohl ihr Mann noch lebte», sagt Bopp.Für jemanden anders löst das Diagnosegespräch Tränen und auch Wut aus, aber auch Erleichterung und Klarheit. Auf der Antwort auf die Frage, wo stehen Demenzkranke stellt Bopp fest: «Die Erkrankung betrifft genau den Bereich, der uns so wichtig ist, nämlich unser Denken und unsere Persönlichkeit, weswegen sich auch die Frage nach dem Sinn eines solchen Lebens stellt», so die Referentin. Sie bezeichnet Ratschläge an die Adresse von Angehörigen als Schläge ins Gesicht. Die Möglichkeit eines assistierten Suizids darf – so Bopp – nie, aber wirklich nie zur Erwartungshaltung der Gesellschaft werden. Und was gilt es, anderen Angehörigen auf den Weg zu geben? «Nehmt Hilfe an, denn wir sind keine Übermenschen. Wir dürfen und müssen uns selbst Sorge tragen und wenn wir zusammenbrechen, nützen wir den Kranken nicht», lautet der Ratschlag. Diesen ergänzt sie mit dem Aufruf nach Verstehen und der Normalität. «Es gibt einen Weg, doch dieser ist steinig», so die abschliessenden Worte von Irene Bopp-Kistler.
Unterschiedliche Feedbacks
«Die rote Nase eines Clowns ist ein Tupfen im Gesicht, der hilft den Kontakt zu Erkrankten herzustellen», erklärt Christine Lienhard, die Gründerin und Präsidentin der Stiftung Lebenshilfe. Sie präsentiert Beispiele aus der Praxis, welche aufzeigen, was einfühlsame Clowns bei Demenzpatienten bewirken können. Mit einem musikalischen Ausklang endet die zweistündige Informationsveranstaltung im Thurgauerhof. Und wie ist diese bei den Anwesenden aufgenommen worden? Die 86-jährige Mutter von Anne und Uschi Neusch lebt mit einer Demenzerkrankung im Tertianum Schloss Berg. «Wir sind seit längerer Zeit mit dieser Krankheit konfrontiert und haben deshalb nicht viel Neues erfahren», stellen die beiden fest. Evelin Spring hätte noch mehr konkrete Vorschläge erwartet, wie man als Angehörige reagiert. Im Foyer vor dem Vortragssaal sind auch die sechs massgebenden Institutionen der Altersarbeit und Demenzberatung des Kantons Thurgau mit Ständen vertreten. Hier konnten konkrete Beratungen abgerufen werden. Andere Zuhörerinnen und Zuhörer erklären spontan: «Wir haben noch nicht viel über Demenz gehört und sind beeindruckt von den heutigen Ausführungen.»
⋌Werner Lenzin